Verschollen hinter grauen Mauern .

Eine Kurzfassung meiner Recherche zu Olga Oppenheimer, welche am 3. Juli im Domforum Köln vorgetragen wurde. Die Lesung fand statt im Rahmen der Reihe "Jüdische Persönlichkeitem in Deutschland", veranstatet durch den Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftstellerinnen (VS) NRW, Bezirk Köln und wurde moderiert durch Eva Weisweiler.

Olga Oppenheimer: Zwischen Farben, Freundschaft und Vergessen

Kindheit und Aufbruch: Die Geburt einer Künstlerin

Olga Friederike Oppenheimer wird am 9. Juli 1886 in Köln geboren – als Erstgeborene einer jüdischen Kaufmannsfamilie mit sechs Kindern. Ihre Eltern, Max Samuel und Wilhelmine Oppenheimer, führen ein gutbürgerliches Leben. Schon früh zeigt sich Olgas künstlerisches Talent: Als Kind kritzelt sie auf Schiefertafeln, als Jugendliche malt sie romantische Burgruinen und Aquarelle. Ihre Eltern erkennen die Begabung und richten ihr 1906 ein Atelier in der Rubenstraße ein – ein Raum für Kreativität und Selbstentfaltung.

Mit ihrer Freundin „Emmy“ Worringer, Schwester des Kölner Zoo-Restaurant-Besitzers, reist sie 1907 nach Dachau. Beide nehmen Unterricht bei Adolf Hölzel und tauchen ein in die Welt der „Neu Dachauer“ Malerkolonie. Olga studiert weiter an der Damenakademie in München, malt zuhause ein Porträt ihrer Großmutter im impressionistischen Stil, reist nach Frankreich und wird Schülerin des postimpressionistischen Malers Paul Sérusier, dem Gründer der Künstlergruppe „Les Nabis“, die dem Freundeskreis Paul Gauguins in Pont-Aven angehört. Dort knüpft sie Kontakte zu Künstlern wie August Macke, Max Ernst und Marie von Malachowski-Nauen, beteiligt sich zwischen 1910 und 1913 an Ausstellungen des Kölner Künstlerbundes.

Der Gereonsklub: Zentrum der Avantgarde

1911 gründet Olga gemeinsam mit Emmy Worringer den Gereonsklub – eine Malschule und Ausstellungsplattform im Kölner Gereonshaus, finanziell unterstützt von Olgas Vater. Der Klub wird zum Treffpunkt der Avantgarde, zieht namhafte Künstler und Intellektuelle an, zeigt 1912 in Köln erstmals Arbeiten der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ mit Werken von Franz Marc und August Macke. Zu sehen ist ebenso Malerei ihres Lehrers Paul Sérusier, ebenso Arbeiten von Gustav Klimt, Pablo Picasso und van Gogh. In Teestunden werden mutige Texte kontroverser Autoren vorgestellt. „Olga Oppenheimers Bedeutung als Sammlerin, Förderin der jungen Kunst im Westen und Ausstellungsveranstalterin, ist für die Köln-Bonner Kunstszene von großer Signifikanz.“ (Zitat: Die Rheinischen Expressionisten).
Doch nicht alle sind begeistert. Kritiker wie Gabriel Christoph Freiherr von Perfall schreiben abschätzig über Ausstellungen im Walraff Richartz Museum und die „malwütigen Frauen“, reagieren hämisch. Doch die Künstlerin bleibt unbeirrt – malt, organisiert, inspiriert. Franz M. Jansen beschreibt sie als „überkultivierte, feinnervige Jüdin“. Elisabeth Erdmann Macke nennt Olga Oppenheimer, die mit August Macke einige Ausstellungen kuratiert, „fremdartig schön“.

Im Frühjahr 1913 reist Olga Oppenheimer als einzige weibliche deutsche Repräsentantin nach Amerika und ist dort an der »Armory Show« in New York, Boston und Chicago beteiligt und mit sechs Holzschnitten vertreten. Begleitet wird sie von ihrem Künstlerkollegen Franz M. Jansen.

Liebe und Rückzug: Die Ehe mit Adolf Worringer

Nach ihrer Rückkehr aus Amerika, heiratet die erfolgreiche Olga Oppenheimer im Herbst des gleichen Jahres den Gastronomen Adolf Worringer – Bruder ihrer Freundin Emmy. Überraschend: Die Heirat erfolgt unspektakulär im Standesamt Horrem, fernab der Kölner Öffentlichkeit. Warum so diskret? War es ihre jüdische Herkunft, die eine öffentliche Feier verhinderte? In den Dokumenten wird „evangelisch“ als Religionszugehörigkeit angegeben – ein Hinweis auf mögliche Konversion oder gesellschaftliche Anpassung?

Im Vergleich zu der festlichen Hochzeit ihres Schwagers Wilhelm Worringer, mit der Künstlerin Martha Schmitz 1909 im Zoo-Restaurant, bleibt Olgas Eheschließung beinahe unsichtbar. Die Ehe markiert einen Wendepunkt. Anscheinend gibt Olga die Malerei auf. Sie bringt zwei Söhne zur Welt.

Es wird still um sie. Die Künstlerin scheint sich zurückzuziehen – aus der Kunst, aus dem Licht der Öffentlichkeit.

Krieg und Verlust: Der Zusammenbruch

Am 8. September 1914 wird Olgas erster Sohn geboren – Robert Wilhelm. Freude, doch der Erste Weltkrieg bringt tiefe Erschütterungen. Nur elf Tage später, am19.09.1914, fällt ihr Bruder Friedrich Alexander Oppenheimer an der Front. Kurz darauf, am 26. September 1914, stirbt August Macke, enger Freund und künstlerischer Weggefährte, in Perthes-les-Hurlus durch einen Kopfschuss. Franz Marcs Soldatentod folgt am 26.September 1916. Die Verluste sind brutal, die Trauer lähmend.

Olga wird 1916 erneut Mutter wird – Ulrich Adolf kommt am 27.08.1916 zur Welt – doch die Angst bleibt. Als Robert eines Tages die Treppe hinunterfällt, erleidet sie einen Schock. Ihre seelische Stabilität bröckelt. Ihr Sohn Ulrich beschreibt später, dass sie 1917/18 innerlich zerbrach. Der Krieg hatte ihr Leben entleert, scheinbar auch ihre Kunst verstummen lassen.

Die Zwangseinweisung: Beginn des Schattendaseins

Am 23. Dezember 1918 wird Olga Oppenheimer in die Hertz’sche Privatklinik in Bonn, eingewiesen. Es ist eine Zwangseinweisung. Schon einmal war sie hier, nämlich am 19. Februar 1918, eventuell als ambulante Patientin, mit der Eingangsnummer 131 auf dem Aufnahmeformular der Hertz‘schen Klinik. Was in der Zwischenzeit geschah, wie es zu der Zwangseinweisung kam, wissen wir nicht.

Jetzt, am 23.12.1918, einen Tag vor Heiligabend, liegt ein Attest vor, das, je nach Gefährdung, zu ein Zwangseinweisung führt. Dazu bedarf es einer richterlichen Entscheidung. Die Entscheidung, die einer Zwangseinweisung vorausgehen muss, bleibt im Dunkeln. Das Attest ist ausgestellt von Dr. med. Walther Poppelreuter, Köln, Assistent Gustav Aschaffenburgs an der Psychiatrischen Klinik Köln. Sein Einweisungsgrund ‘Katatonie‘ besiegelt das Schicksal der Zweiunddreißigjährigen. Sein Engreifen bleibt rätselhaft. Kannten Worringer und der Psychiater sich persönlich? Übrig bleibt die Gewissheit: Olga, einst erfolgreiche Künstlerin, wird aus ihrem Leben gerissen und nach Waldbreitbach transportiert. Die Kinder werden von der Schwiegermutter und Emmy Worringer versorgt.

Waldbreitbach ist eine psychiatrische Einrichtung des Ordens der Franziskanerinnen. Dort beginnt ein jahrzehntelanges Leben hinter Mauern. Die Diagnose Katatonie umfasst Symptome wie Erstarrung, starke Erregungszustände, Melancholie oder tiefste Depression. Für Olga bedeutet das: Isolation, Einsamkeit, Vergessen.

Waldbreitbach: Ein Ort der Widersprüche

Die Einrichtung in Waldbreitbach, gegründet von Schwester Rosa Flesch, war ursprünglich ein Ort christlicher Fürsorge. Doch die Realität ist ambivalent. Es gibt Gebete, Weihrauch, Messen, bischöfliche Segenssprüche, aber auch Zwangsjacken, kalte Duschen und Fixierungen. Schwester Albana Dewes, bekannt für ihre „energisch zupackende Hand“, wird zur Symbolfigur einer Pflege zwischen Güte, Strenge und unmenschlicher Härte. Leitender Arzt ist Dr. med. Paul Landwehr, der zahllose Patientinnen in den Tod schicken muss und sich im letzten Kriegsjahr das Leben nimmt.

Die Chronik des Klosters berichtet von brennenden Patientinnen, vergessenen Baderäumen, Fluchten in die Wälder. Olga bleibt namenlos. Ihre Spuren verschwinden in den Archiven. Die Scheidung von Adolf Worringer 1935 trennt sie auch juristisch von der Welt draußen. Ob sie davon erfährt, bleibt ungewiss.

Tastende Hände an grauen Wänden

„Tastende Hände, graue Wände …“ – ein Satz wie ein Echo aus einer anderen Welt. Er beschreibt die dreiundzwanzig Jahre, die Olga Oppenheimer nach ihrer Zwangseinweisung in der psychiatrischen Einrichtung verbringt. Was bleibt von einer Künstlerin, die einst mit Farben die Welt ergriff? Vielleicht malte sie noch – mit Fingern auf beschlagenen Fenstern, mit Kohle auf dem Boden, mit der Erinnerung an die Liebe zur Kunst. Vielleicht auch nicht. Die Isolation war tief, die Mauern hoch.

Der Tod: Aktion T4 und das Ende

Am 10. Februar 1941 wird Olga Oppenheimer mit zwei weiteren Frauen aus Waldbreitbach abgeholt. Ein grauer, ausrangierteer Postbus bringt sie ins Zwischenlager Andernach, dann weiter in die Tötungsanstalt Hadamar. Dort, unter dem Deckmantel der Aktion T4, werden Menschen mit Behinderung und psychischer Erkrankung systematisch ermordet – als „unwertes Leben“.

Die Chronik aus Waldbreitbach verschweigt Olgas Deportation, berichtet erst nüchtern von Zwangstransporten 1943 auf Erlass des zuständigen Reichsverteidigungskommissars Berlin: „Mit wenigen Ausnahmen verlief alles ruhig. Doch drei Patientinnen weinen bitterlich."

Am 11. Februar 1941 wird Olga Oppenheimer in Hadamar vergast und verbrannt. Die Fenster sind verhangen, Todesgeruch steigt auf. Die Türen der Todesbaracke schließen sich. Das Licht wird zu grell, die Schatten zu tief.

Erinnerung: Ein leiser Nachhall

Olga Oppenheimer war eine Pionierin der modernen Kunst, eine Netzwerkerin, eine Mutter, eine Freundin. Ihr Leben wurde durch Krieg, Krankheit und Ideologie zerstört. Doch ihre Werke, ihre Spuren, ihre Geschichte leben weiter – in Archiven, Ausstellungen, Erinnerungen.

Sie war Teil einer Generation von Künstlerinnen, die nicht nur gegen ästhetische Konventionen kämpften, sondern auch gegen gesellschaftliche Ausgrenzung. Ihre Geschichte ist nicht nur tragisch, sondern auch lehrreich. Sie zeigt, wie fragil Freiheit ist – und wie wichtig Erinnerung bleibt.

„Tastende Hände an grauen Wänden“ – dieser Satz bleibt. Als Bild für das Verstummen. Als Mahnung. Als poetischer Widerstand gegen das Vergessen

© Barbara Stewen 2025